10 Fragen zur Immuntherapie an Dr. Jens Kern

Veröffentlicht: 08. Feb 2017  | Tags: Innere Medizin, Comprehensive Cancer Center, Ärzte

Dr. med. Jens Kern ist Oberarzt in der Abteilung Innere Medizin der Missioklinik. Seine Schwerpunkte: Onkologie und Palliativmedizin. Gerade bei Patienten mit Lungenkarzinom haben sich die Behandlungsmöglichkeiten in den letzten Jahren deutlich erweitert. Über eine der Therapieformen – die Immuntherapie – haben wir mit ihm gesprochen.

In der Missioklinik werden verschiedene Studien zur Immuntherapie angeboten. Die Patienten werden hierzu beraten und bekommen dann eine Therapie z. B. in der Studienambulanz am Comprehensive Cancer Center Mainfranken. Alternativ ist diese Therapie auch bei ambulant tätigen Onkologen möglich.

Herr Dr. Kern, wie entsteht eigentlich Krebs bzw. Krebszellen?

In Krebszellen ist die Information gestört, die zu kontrollierter Zellteilung führt. Krebszellen teilen sich häufiger als normale Zellen. In vielen Organen sind beim Erwachsenen kaum Zellteilungen zu beobachten. Leber oder Lungenzellen teilen sich in gesundem Zustand selten. In anderen Organen, wie zum Beispiel dem Knochenmark, teilen sich die Zellen dagegen auch beim Gesunden häufig.

Die Ursachen für diese unkontrollierte Teilung der Zellen sind vielfältig – bei Rauchern z. B. der ständige Reiz durch Teer und Kondensat. Es gibt aber nicht nur Krebserkrankungen durch Reize von außen. Bei manchen Tumoren besteht eine erbliche Veranlagung, bei einem Teil von Brustkrebspatientinnen zum Beispiel. Dann ist also die Fehlinformation für das unkontrollierte Zellwachstum schon in Teilen in der Erbinformation enthalten. Erbliche Krebserkrankungen machen aber weniger als 10 % aus.

Im Grunde entstehen sehr regelmäßig Krebszellen in unserem Körper, wahrscheinlich sogar täglich. Unser Immunsystem kann jedoch diese Zellen erkennen und aussortieren, so dass diese Zellen keine Chance haben zu einer Krebserkrankung zu führen. Bei Krebserkrankungen ist unser Immunsystem aber leider wie blind geworden und kann diese kranken Zellen nicht mehr erkennen und zerstören. Es gibt eine Art Waffenstillstand zwischen Immunsystem und Krebszellen, das nennen wir Immuntoleranz.

Was ist eine Immuntherapie?

Von einer Therapie, die unser körpereigenes Immunsystem wieder in die Lage versetzt diese kranken Zellen zu erkennen und wirksam zu bekämpfen, haben wir schon lange in der Onkologie geträumt. Auch Patienten fragen mich immer wieder, ob es nicht etwas gibt, was unser Immunsystem aufbaut und stärkt. Unspezifische Immuntherapien wie z.B. die Misteltherapie, haben aber keinen wirksamen Einfluss auf den Verlauf von Krebserkrankungen. Die neueren Medikamente, man nennt sie Checkpoint-Inhibitoren, können diese Hoffnungen zum Teil verwirklichen. Wir denken, dass bei einzelnen Patienten diese Therapie so erfolgreich ist, dass auch eine fortgeschrittene Krebserkrankung wieder durch unser Immunsystem kontrolliert werden kann. Die ersten Patienten leben bereits mehr als 5 Jahre ohne erneute Zeichen einer Krankheitsaktivität und das obwohl vorher bereits Metastasen in verschiedenen Organen aufgetreten waren. Erstaunlicherweise ist es dabei nicht einmal notwendig, die oben genannten Checkpoint-Inhibitoren dauerhaft anzuwenden, sondern es genügt wahrscheinlich eine Therapiephase von etwa einem Jahr.

Was ist der Unterschied zu herkömmlichen Krebstherapien?

Die Wirkung und auch die Nebenwirkungen von klassischen Chemotherapeutika entstehen durch ihre Wirkung auf die Zellteilung. Krebszellen werden in ihrem Wachstum gehindert, das heißt der Vorgang der Zellvermehrung wird behindert, so dass im Idealfall die kranke Zelle abstirbt. Diese Wirkung kann aber auch gesunde Zellen treffen, so z. B. die Knochenmarkszellen, die für die Abwehr von Krankheitserregern zuständig sind. Auch der Haarausfall bei Chemotherapien entsteht durch die Zerstörung der Haarwurzelzellen.

Immuntherapie greift nicht in die Zellteilungsvorgänge ein, sondern aktiviert die körpereigenen Immunzellen. Diese werden von Krebszellen in ihrer Aktivität blockiert. Die Immuntherapie hebt diese Blockade auf, so dass die eigenen Abwehrzellen die kranken Krebszellen wieder erkennen und zerstören können.

Was ist das Ziel einer Immuntherapie?

Das Ziel ist, dass das Immunsystem des Patienten selbst kranke Krebszellen erkennt und zerstört, so dass die kranke Zellart erkannt und abgetötet wird. Das kann unser Immunsystem ja normalerweise.

Im Idealfall führt die Immuntherapie zur Ausrottung auch der letzten Krebszelle. Vergleichbar ist das mit einer Transplantation von fremdem Knochenmark. Hierbei werden auch aktive Immunzellen von einem Spender übertragen, die sich gegen die kranken Zellen richten. Das nennt man einen „graft-versus-leukemia“ Effekt.

Bei der jetzt zur Verfügung stehenden Immuntherapie braucht man keinen Spender, sondern kann das eigene Immunsystem neu auf das Ziel der Krebszellen ausrichten.

Wirkt eine Immuntherapie denn bei allen Krebspatienten?

Da es sich um einen Effekt handelt, der unabhängig von der Art der Krebszellen ist, wird diese Form der Therapie bei nahezu allen Krebsarten geprüft. Es scheint aber große Unterschiede in der Wirksamkeit der Immuntherapie zu geben. Wir unterscheiden z. B. sogenannte „kalte“ und „heiße“ Erkrankungen. Bei kalten Krebserkrankungen ist das Immunsystem völlig unbeteiligt und kann auch durch die Stimulation nicht neu aktiviert werden. Andere Tumorerkankungen, wie zum Beispiel der typische Raucherkrebs, sind häufiger mit einer Aktivierung des Immunsystems verbunden. Dies ist dann womöglich der Schlüssel zu einer zum Teil dramatischen Wirkung der Immuntherapie. Grundsätzlich gibt es aber bisher keine verlässliche Vorhersagbarkeit. Wie bei vielen anderen Behandlungen gibt es Patienten die hervorragend ansprechen auf diese Therapie, andere wiederum gar nicht.

Wie funktioniert die Behandlung? (Spritze, Tablette, ...)

Die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren werden alle als Infusion verabreicht, in der Regel alle 2 – 4 Wochen. Die Zeitdauer der notwendigen Behandlung ist dagegen noch Gegenstand der Forschung.

Was sind die Vorteile für den Patienten?

Ein Vorteil ist klar die geringere Nebenwirkungsrate. Typische Nebenwirkungen der Chemotherapie, wie zum Beispiel Übelkeit oder Haarausfall, kommen bei der Immuntherapie nicht oder äußerst selten vor. Die Infusionsdauer ist ebenfalls mit etwa einer Stunde kürzer. Auch ist eine zusätzliche Schwächung des Immunsystems mit erhöhter Infektanfälligkeit kein Risiko der Immuntherapie. Gerade bei Patienten mit Lungenkrebs ist das ein Problem, welches wir unbedingt vermeiden wollen.

 Gibt es auch Risiken bei der Immuntherapie?

Ja, es gibt neue Nebenwirkungen, die wir bei der normalen Chemotherapie so nicht oder seltener beobachtet haben. Zum Beispiel kommt es relativ häufig zu Störungen der Schilddrüsenfunktion. Ebenso kann es zu einer immunvermittelten Darmentzündung kommen. Diese Nebenwirkungen der Immuntherapie lassen sich aber in der Regel gut mit Cortison behandeln. Erfreulicherweise scheint die Gabe von Cortison jedoch nicht die Wirkung der Immuntherapie zu beeinflussen. Die Empfehlung lautet bei neuen unklaren Symptomen, wie Durchfällen oder auch Atemnot, umgehend den behandelnden Arzt zu kontaktieren.

Wer übernimmt die Kosten einer Immuntherapie?

Derzeit sind Immuntherapeutika für die Behandlung von metastasiertem Melanom und für Patienten mit Lungen-Ca nach einer vorangegangenen Chemotherapie zugelassen. In diesem und den nächsten Jahren werden diese Medikamente sicher für weitere Erkrankungen, wie zum Beispiel Blasenkrebs oder Hodgkin-Lymphom, zugelassen. Wir erwarten für Patienten mit Lungenkrebs auch in diesem Jahr die Zulassung als erste Behandlungsart, wenn ein bestimmter Oberflächenmarker (PD-L1 > 50 %) auf den Tumorzellen nachweisbar ist. Nach Zulassung werden die zum Teil hohen Kosten vollständig von der Krankenkasse übernommen.

 Wird in Zukunft die Immuntherapie immer wichtiger werden?

Wir als Onkologen können uns vorstellen, dass die Immuntherapie für viele Erkrankungen ein wichtiger Behandlungsbaustein wird. Wahrscheinlich werden auch die Kombinationen aus den bisherigen Behandlungs-Möglichkeiten, wie Chemo- und Strahlentherapie, attraktive und wirksame Wege eröffnen. Wir denken, dass die Immuntherapie neben Operation, Chemo- und Strahlentherapie die vierte Säule der Krebstherapie wird.


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Dr. med. Jens Kern, Oberarzt in der Abteilung Innere Medizin der Missioklinik. Seine Schwerpunkte: Onkologie und Palliativmedizin. Dr. Kern koordiniert die Studiengruppe zum Thema Lungenkrebs am Comprehensive Cancer Center Mainfranken (Foto: Missioklinik)