Kranke Kinder sind zu teuer
Veröffentlicht: 06. Apr 2020
Im Magazin Lebenslinie spricht Prof. Christina Kohlhauser-Vollmuth, Chefärztin der Missio Kinderklinik, über die Folgen der Ökonomisierung für die Kinder- und Jugendmedizin.
Quelle: https://www.lebenslinie-magazin.de/artikel/kranke-kinder-sind-zu-teuer/
Nahezu jede fünfte Kinderabteilung in deutschen Krankenhäusern wurde seit 1991 geschlossen, die Bettenzahl ist bis 2017 von 32.000 Kinderklinikbetten auf 18.000 zurückgegangen, also um ein Drittel gesunken, zeigt das Statistische Bundesamt (Destatis) auf. Im gleichen Zeitraum sei die Zahl kleiner Patienten stationär jedoch von 900.000 auf eine Million im Jahr angestiegen, so die Auswertungen von Destatis.
Eine Kinderklinik müsse man sich leisten können und wollen, sagt Chefärztin Professor Dr. Christina Kohlhauser-Vollmuth von der Missio Kinderklinik (ehemals Kinderklinik am Mönchberg), die zum Klinikum Würzburg Mitte gehört. Kinderkliniken hierzulande sind fast alle chronisch unterfinanziert, da das vor 17 Jahren eingeführte Fallpauschalensystem für kranke Kinder nicht wirklich greift.
Das bestätigt auch Prof. Dr. Ingeborg Krägeloh-Mann, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin: „Die Finanzierung durch das Fallpauschalensystem kann die Leistungen der Pädiatrie nicht angemessen auffangen. Grund ist die Komplexität der Medizin im Kindes- und Jugendalter, es ist der gesamte Bereich der Medizin im ‚Kleinen‘.“ Daher schreibe die stationäre Kinder- und Jugendmedizin dauerhaft rote Zahlen. „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen und müssen vielfach erst überzeugt werden, dass man ihnen etwa mit einem Zugang, den man legen möchte, nur helfen will“, so Professor Kohlhauser-Vollmuth. Das koste Zeit und Personal, die teuersten Komponenten im Abrechnungssystem.
Babyfreundliche Kinderklinik
Seit 18 Jahren Chefärztin der Missio-Kinderklinik in Würzburg, fährt die engagierte Kinderärztin dennoch alles auf, um kranken Kindern bestmögliche medizinische Versorgung zukommen zu lassen. Und das wurde Anfang des Jahres honoriert, in Form einer eher seltenen Auszeichnung: Nur drei weitere Kinderkliniken in Deutschland sind ebenfalls noch als „Babyfreundliche Kinderklinik“ zertifiziert. Mit 65 Betten auf drei Stationen (Station Panther: Neugeborene, Station Giraffe: Säuglinge bis 18-Jährige und Station Tanzbär: mehrfach behinderte Kinder und Jugendliche ohne Altersbeschränkung) kümmern sich die Ärzte und Pflegekräfte der Missio-Kinderklinik im Jahr um rund 3.000 stationär aufgenommene, kleine Patienten und um rund 6.000 Kinder und Jugendliche, die in der Notfallambulanz der Kinderklinik vorstellig werden, wenn kein Haus- oder Kinderarzt erreichbar ist.
Der Zertifizierung war eine jahrelange Vorbereitung vorausgegangen, so Kohlhauser-Vollmuth. Im Rahmen des Prozesses wurden nicht nur Ärzte und Pflegekräfte interviewt, sondern auch Krankenzimmer inspiziert und Eltern zuhause angerufen und befragt. Als Perinatal-Zentrum Level 2 betreue die Klinik Frühgeborene ab der vollendeten 28. Schwangerschaftswoche, oftmals auf der Intensivstation. „Auch hier achten wir darauf, die Mutter-Kinder-Bindung zu fördern, etwa im Form von ‚Bonding‘ oder „Känguruen“, sprich durch Haut-an-Haut-Kontakt von Mutter und Säugling“, berichtet die Vollblut-Medizinerin aus ihrem Alltag. Faktoren, die die Fachkräfte der Kinderklinik vornehmlich bei den jungen Eltern unterstützen, sind Bindung, Entwicklung und Stillen. Aber nicht nur in der Klinik werde für Kind und Eltern gesorgt, sondern man sei auch darüber hinaus Ansprechpartner und verbandelt, etwa durch das regelmäßig angebotene Stillcafé für junge Mütter.
Kindliche Verletzlichkeit
Kinder sind die schwächsten Glieder in der Gesellschaft. Sie haben eine besondere Vulnerabilität (Verletzlichkeit, Verwundbarkeit) und bedürfen daher eines speziellen Schutzes. Das wurde Ende letzten Jahres auch bei einer Veranstaltung im Rudolf-Alexander-Schröder-Haus in Würzburg zum Jahrestag der Aufnahme von Kinderrechten in die UN Kinderrechtskonvention fokussiert. Auch wenn zahlreiche Institutionen seit mehr als 30 Jahren für die Rechte der Kleinsten kämpfen (Recht auf Achtung, Schutz und Fürsorge, auf Bildung und Gewaltfreiheit für Kinder), es ist noch Luft nach oben, auch im medizinischen Bereich (Recht auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit). 2007 trat etwa eine EU-Verordnung für Kinderarzneimittel in Kraft. Ziel war es, die Arzneimittelversorgung von Kindern zu verbessern. Seitdem seien in nur sechs Fällen PUMA-Zulassungen (Paediatric Use Marketing Authorisation) beantragt und ausgesprochen worden, weiß Dr. Elmar Kroth vom Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH). „Das heißt, Ärzte müssen Kindern nach wie vor viele bekannte Arzneimittel ‚off label‘ verordnen, also außerhalb ihres zugelassenen Anwendungsgebietes … im Klartext: Ärzte müssen an Kindern nicht geprüfte Arzneimittel anwenden.
Und Kinder werden zum Beispiel mit einer nicht passgenauen Dosierung behandelt“, sagt Dr. Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft beim BAH und Mitglied des Vorstandes der gemeinnützigen „Initiative Arzneimittel für Kinder“ (IKAM).
Kinderrechte wahren
Kranke Kinder sind zu teuer und damit ein „Verlustgeschäft“ für das deutsche Gesundheitssystem, das bestätigt auch eine wissenschaftliche Studie des Forschungszentrums Ceres der Uni Köln mit der Leiterin Dr. Annic Weyersberg: „Das Bestreben, Kindern jederzeit eine ihren besonderen Bedürfnissen und Erfordernissen entsprechende, fachgerechte medizinische Versorgung zu ermöglichen, steht im Widerspruch zu finanziellen Restriktionen, die diese Versorgung zunehmend erschweren oder zum Teil verhindern.“
Professor Kohlhauser-Vollmuth unterschreibt diese Aussage und schlägt vor, das „lernende System“ der DRGs (Diagnosis Related Groups) an die Bedürfnisse von Kindern anzupassen, sprich beispielsweise eine Vergütung zusätzlich zu den Fallpauschalen je nach Altersgruppe einzuführen. Auf diese Weise wäre kindergerechtere medizinische Versorgung auch besser umsetzbar.